Predigt zum 13.03.2022/Reminiszere/ von Pf. Thomas Stiehl

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Liebe Gemeinde, liebe Gäste,

 

Am 2. Sonntag der Passionszeit – Reminiszere werden wir Zeuge eines inneren Weges, eines inneren Kampfes von Jesus.

 

Dieser Kampf spielt sich in dem Garten Gethsemane ab.

Gethsemane.

Ein unscheinbarer Hügel – einen Steinwurf von der Stadtmauer Jerusalems entfernt.

An kaum einer anderen Stelle der Bibel werden wir so an das Herz von Jesus geführt.

Keine Großtaten werden berichtet.

Keine Heilungen portraitiert.

Keine Kämpfe mit seinen Gegnern skizziert.

 

Sondern wir werden in die innere Kammer des Messias geführt.

Für mich ist es:

Eine Dramaturgie der Hingabe.

Eine Dramaturgie der Leidenschaft.

Eine Opferbereitschaft, die ihres gleichen sucht.

 

Ein Ringen um einen Weg des Gehorsams, der in Freiheit gegangen und entschieden werden kann.

 

Ja, ein Weg, den der Gottessohn Christus sogar hätte ablehnen können.

Ein Weg der Klage, der Wehmut.

Jesus im Garten Gethsemane.

Im Vorzimmer des Leidens.

In der Erwartung des Todes.

 

Wir hören den Predigttext aus Matthäus 26:

Da kam Jesus mit ihnen zu einem Garten, der hieß Gethsemane, und sprach zu den Jüngern: Setzt euch hierher, solange ich dorthin gehe und bete.

37 Und er nahm mit sich Petrus und die zwei Söhne des Zebedäus und fing an zu trauern und zu zagen.

38 Da sprach Jesus zu ihnen: Meine Seele ist betrübt bis an den Tod; bleibt hier und wachet mit mir!

39 Und er ging ein wenig weiter, fiel nieder auf sein Angesicht und betete und sprach: Mein Vater, ist's möglich, so gehe dieser Kelch an mir vorüber; doch nicht, wie ich will, sondern wie du willst!

40 Und er kam zu seinen Jüngern und fand sie schlafend und sprach zu Petrus: Konntet ihr denn nicht eine Stunde mit mir wachen?

 

41 Wachet und betet, dass ihr nicht in Anfechtung fallt! Der Geist ist willig; aber das Fleisch ist schwach.

42 Zum zweiten Mal ging er wieder hin, betete und sprach: Mein Vater, ist's nicht möglich, dass dieser Kelch vorübergehe, ohne dass ich ihn trinke, so geschehe dein Wille!

43 Und er kam und fand sie abermals schlafend, und ihre Augen waren voller Schlaf.

44 Und er ließ sie und ging wieder hin und betete zum dritten Mal und redete abermals dieselben Worte.

45 Dann kam er zu den Jüngern und sprach zu ihnen: Ach, wollt ihr weiter schlafen und ruhen? Siehe, die Stunde ist da, dass der Menschensohn in die Hände der Sünder überantwortet wird.

46 Steht auf, lasst uns gehen! Siehe, er ist da, der mich verrät.

 

Liebe Gemeinde,

ein verzweifelter Jesus begegnet uns hier.

Nicht einer, der die Kontrolle über sein Leben verloren hat, aber ein Jesus, der seine Gefühlswelt ordnen muss.

Der nicht mehr weiß, wie ihm geschieht.

Und in diesen inneren seelischen Turbulenzen wünscht er sich Beistand, Begleitung.

Manches können wir nicht alleine tragen.

 

 

Und die Schrift sagt:

Jesus nahm Petrus, einer der ersten Jünger und die beiden Söhne des Zebedäus, das sind Jakobus und Johannes, enge Freunde und Vertraute mit sich.

Und trotz dieser Begleitung heißt es:

Jesus fing an zu zittern und zu zagen.“

Die meisten von uns kennen solche Momente.

Wo wir nicht mehr wissen, wo vorne oder hinten ist.

Wo wir nicht beschreiben können, was für ein Gefühlschaos in uns gerade los geht.

 

Persönlich habe ich das mit meiner Frau erfahren als unsere Tochter 2 Tage vor der Geburt im Mutterleib starb.

Da wich die Farbe und jeder Lebensmut aus meinem Gesicht.

Da war ich für lange Zeit wie nicht mehr von dieser Welt.

Da kontrollieren einen die Umstände.

 

Jesus drückt es hier für sich so aus:

Meine Seele ist betrübt bis an den Tod.“ – 2 x

Eine größere Grenzerfahrung kann mit diesem Sprachbild nicht ausgedrückt werden.

 

Meine Seele ist betrübt bis an den Tod.“

 

Wir könnten auch sagen: es ist kein Leben, keine Hoffnung, keine Kraft zum Kämpfen mehr übrig.

Der Hand ist zum Greifen nahe.

Er hat schon Besitz von ihm genommen.

 

In dieser Verzweiflung bittet Jesus seine drei Freunde mit ihm zu stehen.

Mit ihm zu beten.

Ihm den rücken zu stärken.

Bleibt hier und wacht mit mir.

Das wachen ist hier als beten gemeint.

Wachet, betet, ringt mit mir, weil der Kampf zu groß für mich ist.

 

Aber das Hauptaugenmerk gilt hier seinem eigenen Vater.

Dem Vater im Himmel.

Denn dieser verlangt unglaubliches von ihm.

 

Jesus fällt nieder auf sein Angesicht und betet und spricht:

Mein Vater, wenn es möglich ist, dann gehe dieser Kelch an mir vorüber. Aber nicht wie ich will, sondern wie du es willst.“

 

er Kelch als Sinnbild und Synonym von Leid und Tod.

Es fällt ihm wie ein Stein auf seine Seele.

Es umnachtet seinen Geist.

Zwingt ihn physisch und psychisch in die Knie.

 

Mein Vater, wenn es möglich ist, dann nimm dieses Leid von mir“ …betet er..“

 

Und doch weiß er in der Tiefe seines Herzens.

Dieser Weg ist der einzige Weg, der zur Erlösung für die Menschheit führt.

Dieser Weg wird mich überfordern und an den Rand des Wahnsinns bringen.

Mir unbeschreibliche Schmerzen zufügen.

Ja, die Bibel berichtet, dass Jesus Blut geschwitzt hat.

 

Sie erzählt in Hebräer 5,7, dass Jesus in den Tages seines irdischen Lebens Bitten und Flehen mit lautem Schreien und mit Tränen seinem Vater hingebracht hat.

 

Und so schreien die Menschen in der Ukraine zu Gott.

 

So schreien Todkranke in der Nacht ihrer Seele.

 

So schrie es ein Maori Indianer zu Gott, als er in seiner Gemeinde in der Abendmahlsgemeinschaft den Mann traf, der einst seinen Vater entführt, getötet und gegessen hatte, weil er zu einem Stamm von Kannibalen gehörte und später Christ geworden war…

 

Dieser Maori Christ rang mit sich – konnte er denn diesem Vatermörder vergeben?

War er dazu in der Lage.

 

Aber auf dieser Ebene betet Jesus zu Gott:

 

Nicht wie ich will, sondern wie du willst…“

Oder wie er es am Kreuz über die Juden und Römer ausbetet,,,

Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun…“

 

Hier stehen wir mit Jesus mitten in der Passion.

Mitten in der Leidensgeschichte, die mit keinen Worten erklärt oder gedeutet werden kann.

 

Wir können sie nur so stehen lassen und uns Trost spenden lassen, wo unsere Welt uns ähnliche Geschichten in unser Lebensboot spült.

 

 

 

In diesem Opfer von Jesus, das wir mit unserem kleinen menschlichen Verstand nicht ergründen können, kommt die Barmherzigkeit Gottes für uns Menschen zum Ausdruck.

 

So wie es die Überschrift dieses Sonntags ist:

 

Gedenke Herr an deine Barmherzigkeit.“

 

Denn Gott erweist seine Liebe zu uns darin, dass Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren.

 

Es geht nicht um die schönste Braut.

Nicht um den besten Börsenabschluss.

Oder den sportlichsten Wagen.

 

Sondern es geht um deine und meine Seele.

Und diesen Kampf kämpft Jesus.

Auch wenn wir es nicht fassen können.

Und sich manche Christen von diesem Opfertod Christi abwenden…

 

Dreimal betet Jesus.

 

Dreimal findet er seine Jünger schlafend.

Dreimal kniet er.

Dreimal steht er wieder auf.

43 Und er kam und fand sie abermals schlafend, und ihre Augen waren voller Schlaf.

44 Und er ließ sie und ging wieder hin und betete zum dritten Mal und redete abermals dieselben Worte.

 

Jesus erlebt das, was auch Menschen in unseren Tagen erleben.

Dass Menschen, die wir gut gebrauchen könnten an unserer Seite einknicken, einschlafen, uns den Rücken zukehren.

 

Aber die beiden letzten Verse verdeutlichen:

Jesus hat diesen unglaublichen inneren Kampf gewonnen.

Er packt den Stier bei den Hörnern, er sieht der Wahrheit ins Gesicht.

Er kneift nicht.

Oder jammert gar.

 

So wie Charles de Foucauld, über den ich zu Ostern gern predigen will, gesagt hat:

 

 

Bring ein wenig Wüste in dein Leben, verlass von Zeit zu Zeit die Menschen, such die Einsamkeit, um im Schweigen und anhaltenden Gebet deine Seele zu erneuern.

Das bedeutet Wüste in deinem geistlichen Leben.“

 

Und genau das tut Jesus im Garten Gethsemane.

Er sucht die Einsamkeit.

Er ringt, er betet, und erneuert damit seine Seele.

 

Wie sonst könnte er wie ein Gladiator, der sehenden Auges in en Tod geht, diese Worte sagen:

 

Siehe, die Stunde ist da, dass der Menschensohn in die Hände der Sünder übergeben wird.

Steht auf, lasst uns gehen.

Siehe, er ist da, der mich verrät.“

 

Kein Fluchtmechanismus.

Kein Jammern und winseln.

 

Sondern Gott der Vater hat seinen Sohn in dieser Stunde der Not, in dieser Nacht des Gebetes erhört und innerlich aufgerichtet.

 

 

Er kann jetzt stehen.

Seine Seele ist gestärkt.

So wie es Martin Luther einmal sagte, als er von seinen Gegnern zu Tisch geladen wurde:

er müsse mit dem Teufel an einem Tisch sitzen.“

 

Die Passionsgeschichten der Bibel schenken uns Werkzeug, innere Kämpfe, Verzweiflung, ja Zustände, in denen unsere Seele betrübt ist bis an den Tod zu überwinden.

 

Jesus sagt:

Siehe, die Stunde ist da, dass der Menschensohn in die Hände der Sünder überantwortet wird.

Steht auf, lasst uns gehen!

 

 

Amen.